Von Untertanen zu Bürgerinnen und Bürgern

1995 war gerade einmal eine Handvoll Bürgerinnen und Bürger empört über die Tatsache, dass die Gemeinden sich eine eigene Satzung gaben, ohne dass Bürgerinnen und Bürger irgend etwas dabei zu sagen gehabt hätten, ja, ohne dass sie überhaupt etwas davon wussten.
Heute, 2015, da der Landtag von ihnen zum dritten Mal angehalten worden ist, ein brauchbares Gesetz zur Direkten Demokratie zu erarbeiten, zeigt dieser sich interessiert und offen genug, um die Bürgerinnen und Bürger vorher anzuhören. Wie weit das aber auch nur schöner Schein sein kann, wird sich bald zeigen.
Dazwischen liegen vier Volksbegehren, eine Volksabstimmung über den Gesetzesvorschlag zur wirksamen und gut anwendbaren Regelung der Direkten Demokratie, vorgelegt von einem breiten Bündnis der Zivilgesellschaft, und ein Referendum gegen eine Regelung dieser Materie durch die Landtagsmehrheit, die nicht akzeptabel erschien.

Und das sind die Stufen des Erfolgs: 

2005 haben wir mit einem Volksbegehren erwirken können, dass auch die Bürgerinnen und Bürger mit dem Instrument der Volksinitiative Gesetze in Kraft setzen können.
2009 fiel mit der ersten landesweiten Volksabstimmung unter dem Zorn der 114.884 Abstimmenden das Beteiligungsquorum, mit dem zuvor die Anwendbarkeit der Volksgesetzgebung verhindert worden war. Einzelne Gemeinden strichen das Quorum vollständig, andere senkten es. In der Zwischenzeit darf es für alle Gemeinden verpflichtend nicht über 25% liegen. Ebenso sah sich die politische Mehrheit veranlasst, die Volksabstimmung über Beschlüsse der Landesregierung sowie eine umfassende institutionelle Information der Stimmberechtigten vor Volksabstimmungen vorzusehen.
2014 machten die Stimmberechtigen der politischen Mehrheit mit der Ablehnung ihres neuen Gesetzesvorschlags zur Direkten Demokratie klar, dass sie hohe Zugangshürden und Fußangeln im Gesetz sowie das Fehlen des Referendums als Vetorecht der Bürgerinnen und Bürger nicht akzeptieren.

Dazwischen hat vor allem aber ein Bewusstseinsprozess stattgefunden, der die Menschen von Untertanen zu Bürgerinnen und Bürgern hat werden lassen, also zu Menschen, die für die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Existenz bürgen können wollen.   
Nicht mehr wegzudenken ist der Wunsch und Wille der Menschen im Land, tatsächlich auch selbst politische Entscheidungen zu treffen und, wenn es nötig scheint, wirksam in die politische Beschlussfassung einzugreifen. Die Idee der Mitbestimmung ist im Bewusstsein der Menschen verankert.
Die Volksabstimmungen in Land und Gemeinden haben eine Aufbruchstimmung erzeugt, und das ist das Gegenteil von politischer Resignation oder auch ohnmächtiger Gewalt. Die Menschen haben erfahren, dass sie mit direktdemokratischen Mitteln im eigenen Land und in der eigenen Gemeinde etwas in ihrem Sinn erwirken können. Sie erleben, dass offensichtlich doch gehen kann, was anscheinend nicht gehen soll.
Das letzte wunderbare Beispiel dafür, dass Menschen ermutigt und zuversichtlich sind, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen, ist das Wahldebakel in der Gemeinde Urtijei: Der Einparteienherrschaft und -(miss)wirtschaft überdrüssig, haben Bürgerinnen und Bürger für die kommenden Wahlen das Zustandekommen einer parteiübergreifenden Einheitsliste organisiert.

Zuletzt, aber eminent wichtig:
Mit all unseren Initiativen und unserer Unnachgiebigkeit angesichts des Unwillens der politischen Mehrheit, haben wir auch deutlich werden lassen, wie es die politische Mehrheit mit der Demokratie hält. Die Illusionen sind verweht und das Bild vom Politiker als Machthaber, der uneingeschränkt entscheiden soll, ist in der Versenkung verschwunden.
Freilich, und darüber dürfen wir uns nicht hinwegtäuschen, präsentiert sich an seiner Stelle jetzt vielerorts die politische Macht mit freundlichem Gesicht, gibt sich verständnisvoll, gar entgegenkommend und scheinbar demütig, lässt mitreden - aber teilen will sie ihre Macht mit den Bürgern immer noch nicht. Mit ihren Taten wird sie bis zu den nächsten Wahlen gezeigt haben, wie ernst sie es meint. Wie jetzt schon in einzelnen Gemeinden, sollte damit dann das Ende der so getarnten politischen Macht gekommen sein, die nicht wirklich gewillt ist, ihre Macht mit den Bürgerinnen und Bürgern zu teilen.

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